Flächenmanagement Überblick

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Wie das Ruhrgebiet begann aufzublühen

Seit Generationen gestaltet die Metropole Ruhr die Umwandlung von Bergbauflächen zu modernen Gewerbegebieten und nachhaltigen Siedlungsräumen. Das entstandene Know-how ist weltweit gefragt.

Spätestens 2038 schließt das letzte Kohlekraftwerk im Ruhrgebiet, die letzte Zeche wurde 2018 dicht gemacht, doch die Planungen für die Nach-Kohle-Ära laufen schon seit Jahrzehnten. Bestes Beispiel: die 1989 begonnene Internationale Bauausstellung (IBA) Emscher Park. Sie steht exemplarisch für den innovativen Umgang mit Flächen, die von Bergbau und Schwerindustrie in Mitleidenschaft gezogen wurden. Damals entstand nicht nur der Emscher-Landschaftspark als Europas größtes zusammenhängendes Projekt des Wiederaufbaus von Industrie-Landschaft. Auch der Ansatz, Industrie- und Bergbauflächen in der Metropole nachhaltig umzugestalten, wurde damals entwickelt: Systematisch entstehen seither neue Kulturstätten, Grünflächen, Wohn- und Gewerbegebiete.

Schon vor 100 Jahren wurden Grünzüge geschützt

Das entstandene Transformations-Know-how ist heute weltweit gefragt. „Die EU und die Weltgesundheitsorganisation haben sich bereits über die Transformationsprojekte im Ruhrgebiet informiert“, berichtet Diplom-Ingenieur Jürgen Brüggemann, Senior Consultant am Forschungszentrum Nachbergbau der Technischen Hochschule Georg Agricola (THGA) in Bochum. „Auch in China ist man sehr an unseren Erfahrungen interessiert, ich wurde dort schon zu Vorträgen eingeladen.“ Dabei, betont Brüggemann, sei die Technik nicht der entscheidende Faktor. Wichtiger sei das erfolgreiche Zusammenspiel von Politik, Verwaltung, Unternehmen, Kultur- und Forschungseinrichtungen im Interesse der Bevölkerung. „Das hat schon in den 1920er-Jahren mit dem Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk angefangen, der dafür gesorgt hat, dass Grünzüge entstanden, während die Gegend immer dichter besiedelt wurde. Damals begann eine Entwicklung, dank der wir heute auf dem Weg zur grünsten Industrieregion der Welt sind.“

Besondere Impulse erwartet Brüggemann von der Internationalen Gartenausstellung (IGA), die 2027 erstmals im Ruhrgebiet stattfinden wird. Eine der vielen Landschaften, die einbezogen werden, ist der Gelsenkirchener Nordsternpark: eine Grünzone auf ehemaligem Zechengrund an der Emscher, in der sich bis dahin vielleicht wieder Fische und Krebse tummeln werden.

Umbau des Emscher-Systems als Generationenprojekt

Die Emscher selbst ist eines der wichtigsten Transformationsprojekte der Metropole Ruhr: Der Fluss, der sich von Dortmund Richtung Rhein durch die Region schlängelt, wird aufwendig renaturiert. Ein mittelalterlicher Chronist lobte das „vortrefflich klare Wasser“ des Flusses, der reich an Fischen und Krebsen sei. Durch Bergbau, Industrialisierung und Bevölkerungswachstum war die Emscher Ende des 19. Jahrhunderts zur Kloake verkommen. Im 20. Jahrhundert wurde sie begradigt und reguliert – ein unansehnlicher Abwasserkanal. Seit der IBA Anfang der Neunzigerjahre arbeitet die Emschergenossenschaft am Umbau des Flusssystems. Über die Jahrzehnte sind insgesamt mehr als fünf Milliarden Euro in das Großprojekt investiert worden. Es sieht neue unterirdische Abwasserkanäle und renaturierte Flusslandschaften vor. Eine Entwicklung, die inzwischen schon weit fortgeschritten ist: Ein wichtiger Meilenstein war die Eröffnung des Abwasserkanals Emscher, der im August 2020 fertiggestellt wurde - und dafür sorgen wird, dass die Emscher erstmals seit 170 Jahren wieder sauber sein wird.

Wir wissen, wie man Flächen nachhaltig neugestaltet. Insofern ist wohl keine Region besser auf die nächste Transformation vorbereitet als das Ruhrgebiet.
Diplom-Ingenieur Jürgen Brüggemann
Senior Consultant am Forschungszentrum Nachbergbau der Technischen Hochschule Georg Agricola in Bochum

Ehemalige Bergbau-Unternehmen unterstützen die Transformation

Auf Arealen, die früher industriell genutzt wurden, soll eine ausgewogene Mischung aus Flächen für Wirtschaft, Wohnen und Natur enstehen. Das ist das Ziel der Partner*innen der Bergbau-Flächenvereinbarung. Dabei verlief die Entwicklung nicht geradlinig. „Speziell der Bergbau hatte früher einmal den Ruf, das Flächenrecycling im Ruhrgebiet durch eine Art Flächensperre aktiv zu behindern“, sagt Professor Kai van de Loo, Wissenschaftlicher Leiter am Forschungszentrum Nachbergbau. „Doch dieser schlechte Ruf ist seit Jahrzehnten überholt.“ Die früheren Montanunternehmen hätten sich längst an die Bedingungen des Strukturwandels angepasst. Durch die 2014 beschlossene Bergbau-Flächenvereinbarung könne das Ruhrgebiet beim Flächenrecycling inzwischen klar als Vorreiter gelten, betont der Volkswirt.

Wandel als Chance

In der Bergbau-Flächenvereinbarung verpflichten sich die Städte und Gemeinden des Ruhrgebiets, das Land Nordrhein-Westfalen, der Regionalverband Ruhr (RVR) und die Unternehmen Ruhrkohle AG und Ruhrkohle Montan Immobilien GmbH, die Mammutaufgabe des anhaltenden Strukturwandels gemeinsam anzugehen. Unter dem Titel „Wandel als Chance“ verfolgen die Partner*innen die Strategie, die Metropole Ruhr ökonomisch, sozial und ökologisch weiterzuentwickeln. Dazu wurden 20 über die Region verteilte Standorte definiert, die Modellcharakter für die Aufbereitung und Nachnutzung von Bergbau- und Industriearealen haben sollen. Rund die Hälfte dieser Flächen soll für Gewerbe, 20 Prozent für Wohnbebauung und etwa 30 Prozent für Freizeit- und Erholungszwecke genutzt werden.

Mix aus Kreativwirtschaft, Kultur und nachhaltigem Wohnen: Ein gutes Beispiel für ein Revitalisierungs-Projekt im Rahmen der Flächenvereinbarung, das bereits weitgehend abgeschlossen ist, findet sich in Dinslaken, im nordwestlichen Teil des Ruhrgebiets. Auf dem Gelände einer ehemaligen Zeche, in der bis 2005 Steinkohle gefördert wurde, entsteht das Kreativquartier Lohberg.

Denkmalgeschützte ehemalige Zechengebäude werden nun von Kulturveranstalter*innen und der Kreativwirtschaft genutzt. Am Rande des Bergparks Lohberg mit einem neu angelegten See entsteht ein Wohnquartier mit hoher Energieeffizienz, das sich zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien versorgt und damit ein Beispiel für eine klimagerechte Transformation ist. Mit seiner Mischung aus kreativer Umnutzung, nachhaltigem Neubau und einer Wohnumgebung mit hohem Freizeitwert ist das Kreativ.Quartier Lohberg modellhaft für die neue Metropole Ruhr, wie es sich die Beteiligten der Bergbau-Flächenvereinbarung vorstellen.

Der Wandel geht weiter

Noch sieht nicht das ganze Ruhrgebiet aus wie das Kreativquartier Lohberg. Die Experten vom Nachbergbau-Institut, Brüggemann und van de Loo, betonen: Nachhaltiges Flächenmanagement ist ein Geschäft, das langen Atem erfordert. Und es kommen neue Aufgaben hinzu – etwa die fünf Steinkohlekraftwerke in Duisburg, Gelsenkirchen, Hamm, Herne und Unna, die im Zuge des Kohleausstiegs in Deutschland in den nächsten Jahren stillgelegt werden. „Für uns ist das keine Katastrophe, wir wissen, wie man Flächen nachhaltig neugestaltet“, sagt Brüggemann. „Insofern ist wohl keine Region besser auf die nächste Transformation vorbereitet als das Ruhrgebiet.“