Die Mitarbeitenden der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG in Bochum und weiteren 6 Standorten gestalten seit 2019 mit ihrer Forschung klimaneutrale Energiesysteme und koordinieren die Wasserstoffforschung innerhalb der Fraunhofer-Gesellschaft.
In Zeiten von Gasmangellagen und Energiekrisen ist ihre Arbeit schwer gefragt und auch die Geothermie bekommt eine höhere Sichtbarkeit. Was genau Geothermie leisten kann und inwieweit das Ruhrgebiet eine besondere Rolle dabei einnimmt: Ein Gespräch mit dem Leiter des Fraunhofer IEG, Prof. Dr. Rolf Bracke.
Herr Prof. Bracke, Sie bezeichnen Ihre Fraunhofer-Einrichtung als Denkfabrik für die Energiewende und fokussieren sich dabei auf die Themen Energieinfrastruktur sowie Geothermie. Was genau ist denn eigentlich Geothermie?
Aus dem Inneren der Erde strömt kontinuierlich Wärme über die Erdkruste, auf der wir stehen, ins All. Die Erdkruste ist zwischen 5 und 25 Kilometern dünn. Darunter haben wir magmatisch heißes Gestein. An einzelnen Schwächezonen in der Welt tritt das auch zutage: etwa an allen Vulkanen, die wir so kennen. Da sehen wir das Gestein mit Temperaturen von deutlich über 1.000 Grad an die Oberfläche kommen. Und je tiefer wir unter der Erdkruste sind, desto heißer wird es bis zum Mittelpunkt der Erde, bis zu knapp 6.000 Grad.
Das heißt also: Dicht unter unseren Füßen haben wir Temperaturen, die deutlich über 1.000 Grad liegen. Gleichzeitig haben wir in der Atmosphäre und im All Temperaturen im Minusbereich. Die Temperatur versucht dabei immer, einen Ausgleich hinzubekommen. Wir haben also einen permanenten Wärmestrom aus dem Erdinneren über die Erdkruste ins All. Das ist die Geothermie. Diese Wärme kommt in erster Linie über natürliche radioaktive Zerfallsprozesse im Bereich des Erdmantels und der Erdkruste zustande Hinzu kommt noch die Restwärme aus der Entstehungsgeschichte der Erde.
Wenn die Wärme einfach da ist: Wieso hat man sie bisher kaum genutzt?
Genutzt haben wir sie nicht, weil fossile Energieträger, insbesondere Erdgas und Abwärme aus der Kohleverbrennung, so billig zur Verfügung standen. Den Preis, den die Gesellschaft durch den Klimawandel in Form von Dürren und Überschwemmungen zahlt, sehen wir jetzt. Daher stand es lange Zeit nie ernsthaft zur Diskussion, aus den Fossilen auszusteigen. Also hat die Politik das von Legislaturperiode zu Legislaturperiode weiter nach hinten geschoben. Und auch die Vorstände der energiewirtschaftlichen Unternehmen waren ihren Aktionärinnen und Aktionären gegenüber verpflichtet: Sie haben Erdgasnetze in ihren Assets und müssen sie natürlich auch bewirtschaften. Sowohl die Energiewirtschaft als auch die Politik hat eigentlich kein Interesse am Erdgasausstieg gehabt.
Die Erdwärme ist überall da – allerdings nur punktuell sichtbar. Wir erleben sie seit 2.000 Jahren an den heißen Thermalquellen in Aachen. Daneben gab nur wenige Regionen wie die Eifel oder Gebiete im süddeutschen Raum, in denen es Vulkanismus gab. Allerdings sind die Vulkane dort alle erloschen. Wenn wir nun aktive Vulkane sehen wollen, müssen wir in Europa entweder nach Italien oder nach Island fahren. Auch deswegen war Geothermie bisher kaum Thema in Deutschland.
Das Thema Energiewende hat im Jahr 2022 durch den Krieg in der Ukraine eine ganz neue Dynamik bekommen. Um unabhängig von russischem Gas zu werden, hat die deutsche Bundesregierung einige Hebel in Bewegung gesetzt und unter anderem Terminals für den Import von Flüssiggas an der Nordseeküste bauen lassen. Welche Rolle spielt Geothermie heute als Energiequelle bei der Energiewende?
Die Geothermie ist in Deutschland in erster Linie attraktiv für die Wärmeversorgung. Und die macht mehr als die Hälfte des Energiebedarfs in Deutschland aus: 56 Prozent der Energie nutzen wir als Wärme - kommunale Wärme und Industriewärme. 44 Prozent nutzen wir für Mobilität und Strom.
Bei den Einfamilienhäusern und im klassischen Neubau haben Erdwärmepumpen auch vor dem Krieg in der Ukraine schon hohe Verbreitung gehabt. Rund 450.000 Anlagen haben wir am Netz. Aber: "Deutschland ist gebaut", das heißt: So viele Neubauaktivitäten haben wir hier nicht mehr.
Dennoch: Wenn vor 2022 über Energiewende gesprochen wurde, dann lag der Fokus auf Windenergie- und Photovoltaik-Ausbau und vielleicht noch ein bisschen auf Wasserkraft. Nur wenige haben an Wärme gedacht. Erst mit der drohenden Gas-Mangellage ist den Leuten klar geworden, dass man sich abhängig gemacht hat. Und erst die Angst, dass man im nächsten Winter sein Haus möglicherweise nicht mehr beheizt bekommt oder zu Preisen beheizt bekommt, die wehtun, hat die Menschen, die Medien und auch die Energiewirtschaft am Ende zum Umdenken gebracht. Die Geothermie ist sichtbarer geworden.
Was macht denn das Ruhrgebiet so besonders für die Geothermie?
Im Ruhrgebiet gibt es im Prinzip drei Stockwerke, aus denen man Geothermie nutzen kann. Insbesondere im Süden des Ruhrgebiets können wir einige zehn Meter tief bohren, eine Erdwärmesonde anbringen, dort eine Wärmepumpe anschließen und so ein einzelnes Gebäude mitversorgen. Wenn wir einige 100 Meter tief bohren, können wir größere Gebäude wie etwa bestehende Verwaltungsgebäude versorgen. Das wäre das erste Geschoss.
Dann gibt es die ehemaligen Bergwerke. Seit der Bergbau eingestellt wurde, dringt von der Seite wieder Grundwasser in die Schächte des Bergwerks ein. Dort heißt es dann Grubenwasser. Und wenn ich in das Grubengebäude reinbohre oder eine Pumpe da reinhänge, kann ich das Wasser direkt aus dem Bergwerk nutzen. Dieses zweite Geschoss geht so bis in Tiefen von etwa zwischen 800 und 1.500 Meter, je nachdem, wie tief der Bergbau gegangen ist.
Unter den Bergwerken und Gruben wiederum gibt es in etwa 3.000 und 5.000 Metern Tiefe im Ruhrgebiet natürliche Kalksteine, im dritten Geschoss. Je tiefer ich komme, desto höher ist die Temperatur und desto unterschiedlicher kann ich es dann thermisch nutzen.